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Diplom-Psychologe Laszlo A. Pota, Psychologischer Psychotherapeut

Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V.

COME IN! Fachklinik für suchtkranke Kinder u. Jugendliche

Hilfe muss Halt und Entwicklungsraum bieten. Abhängige Kinder brauchen Nachreifung.

Kulturelle und politische Faktoren sind bei Sucht zu beachten als Abbild gesellschaftliche Phänomene.

Rituale, Mythen, Rauschmittel, Medien

Schon immer waren Rituale, Mythen und natürlich auch Rauschmittel, aber auch der Gebrauch von Medien und Technik, Initiationsmerkmale des Wechsels vom Jugend- ins Erwachsenenalter. Früher waren diese Meilensteine aber kulturelle Gebräuche, eingegrenzt auf bestimmte Zeiten, Orte, Personenkreise und sie fanden unter Anleitung statt. In allen  Kulturen finden wir solche Rituale.

Diese Rituale fanden als kulturelle oder religiöse Zeremonien zu festgelegten Zeitpunkten, an besonderen Orten und in einem bewusst bestimmten Kreis von Personen statt. Die dabei erlebten Erfahrungen waren damit eingegrenzt und auf ein bestimmtes Ziel hin ausgerichtet, nämlich die Übernahme von größerer Verantwortung für sich und andere.

Diese Grenzen haben sich im Laufe der Zeit immer mehr verwaschen. Aus der Zweckbestimmtheit wurden Gewohnheiten, ohne den Ursprung zu begreifen. Heute sind wir bei einer „Gehabe-Struktur“ mit stark suchtspezifischer  Gesellschaftstendenz angelangt, die  nicht mehr soziokulturellen Modellen dienen, sondern nur noch dem individuellen Rauscherlebnis und damit immer mehr die Ausgrenzung aus der Gesellschaft zum Zweck oder zur Folge haben.

Rausch- oder Genussgifte bzw. Suchtmittel Internet?

Über die Einteilung in Rauschgifte und Genussgifte bzw. Sucht hat es immer wieder den ideologischen Streit zwischen Hedonisten und Moralisten gegeben. Verschiedene Kulturen und Länder gehen unterschiedlich mit Heil- und Rauschmitteln um.  Dabei ist naturwissenschaftlich belegt, dass jedes dieser Mittel bei entsprechend hoher oder kombinierter Dosierung zum Rausch führt und darüber hinaus bei besonderer Applikationsform zum tödlichen Gift werden kann bzw. moderne Medien süchtig machen können.

Natürlich ist das Ausmaß der Abhängigkeit, die Suchtstoffe mit sich bringen, von Stoff zur Stoff unterschiedlich. Doch ist das Abhängigkeitspotenzial auf zwei Ebenen zu sehen: Die physische und die psychische Abhängigkeit. Das Suchtpotenzial von Haschisch ist zwar auf der körperlichen Ebene gleich Null, dafür aber mit einer langsam wachsenden psychischen Abhängigkeit verbunden. Zudem können die in ihrer Suchtpotenz angeblich weniger problematischen Suchtstoffe wie Haschisch, Marihuana, LSD oder Ecstasy körperlich und psychisch gravierende Folgen und Nebenwirkungen haben. Insgesamt gesehen gibt es keine Rauschmittel, die gesund sind, bei regelmäßigem Gebrauch lösen sie Krankheiten aus. Über die Einteilung in legale oder illegale Drogen - sprich gesellschaftlich tolerierte und nicht tolerierte - und ihre Vereinbarkeit mit juristischen Normen lässt sich trefflich streiten. Es gibt bis heute keine Regelung auf der Welt, die logisch sowohl als wissenschaftlich wie auch sozial und politisch halt- und durchsetzbar wäre.

Kritische Auseinandersetzung wäre nötig

Um Drogenkontakte und Rauschmittelgebrauch bzw. Mediensucht ganz allgemein präventiv zu verhindern, müsste eine konfrontative und kritische Auseinandersetzung geführt werden. Und dies auch mit der Alkohol-, Tabak- und  Pharmaindustrie bzw. Unterhaltungskonzerne, um sie in die Verantwortung für die Folgen der Schäden einzubinden, die sie verursachen. Statt dessen wird von verschiedenster Seite der vom Staat subventionierte oder bestenfalls kontrollierte Rausch oder Sucht propagiert, auf den jeder ab 16 ein Recht haben soll. Dieser Ansatz ist insbesondere bei Kindern und Jugendlichen falsch. Es kann doch nicht nur darum gehen, welche Droge und ihre Konsumfolgen weniger schnell zum Tode führt oder einen geringeren Schaden verursacht.

Es gibt keine Droge, die bei regelmäßigem Konsum nicht zu einer psychischen Abhängigkeit mit milderem oder strengerem Verlauf führt. Auch die Medienindustrie zielt auf die Sucht ab. Die Grundstruktur für eine  psychische Abhängigkeit ist zumeist bereits vor der ersten Mehrfach-Probierphase vorhanden. Die entscheidenden Unterschiede zwischen einzelnen Wirkungen sind auf der physischen+psychischen+sozialen+ökonomischen Ebene zu finden.  Spätestens hier wäre eine enge Kooperation zwischen Jugendhilfe und Suchthilfe dringend nötig.

Zusammenwirken mehrerer Faktoren

Im Rahmen eines multifaktoriellen Modells wird der Konsum als ein Zusammenwirken mehrerer Faktoren betrachtet, die in unterschiedlicher Weise voneinander abhängen und sich gegenseitig bedingen. Sie werden in diesem theoretischen Rahmen in die drei Faktoren „Sucht bzw. Droge“, „Persönlichkeit des Konsumenten“ und „gesellschaftliches Umfeld“ zusammengefasst. Die Grundlinien und Einzelentscheidungen der Drogenpolitik werden in der Gesundheits- und Sozialpolitik bestimmt durch die Definition des Suchtproblems, durch den Erkenntnisstand seiner Ursachen, deren wissenschaftliche Gewichtung und ideologisch-politische Wertung sowie seine ökonomischen Folgen. Zusätzliche Faktoren liegen in den mit der Produktion und dem Konsum von Drogen bzw. Medienformen verbundenen finanziellen und politischen Interessen, die ihrerseits aber bereits in den Charakter der Ursachen- und Problemdefinition eingehen.

Die umfassende historische Aufarbeitung der politisch- ökonomischen Geschichte der Drogen ist bisher ungeschrieben; sie hätte auch für die herrschende Politik einige fatale Aspekte zu erklären, z.B:

- die Parallelen von krisenhafter ökonomischer und gesellschaftlicher Entwicklung mit den sozialen Suchtepidemien als Ausdruck des Wohlstandes wie des Elends;

- die Widersprüche in der Haltung gegenüber dem Konsum verschiedener Rauschmittel sowie gegenüber dem Konsum in der eigenen sozialen Klasse und dem Konsum anderer;

- die Entwertung der wissenschaftlichen und fachlichen Inhalte durch ökonomische Rahmenbedingungen wider besseres Wissen, etc...

Während wir in den 70-er und 80-er Jahren dabei waren zu lernen, dass effektives präventives Denken im Gesundheitssystem ein kollektives, gemeindebezogenes, sozial kreatives und psychisch emanzipierendes Denken sowie Handeln voraussetzt, kehren wir seit den 90-ern zurück zu einem Sparmodell, weg von aktivierenden prozessbegleitenden Maßnahmen in eine einseitig am Einzelnen orientierten, auf Versorgungspflichten ausgerichteten Medizin, die von selbstverursachter Sucht ausgeht und darauf kurativ-disziplinierend antwortet.

An den Lebensbedingungen ansetzen

Ziel jeder Prävention, ob primär, sekundär oder tertiär, muss es sein, die Sozialisations- und Lebensbedingungen besonders von Kindern und Jugendlichen sowie die daran beteiligten Institutionen und sozialen Systeme zu erforschen, zu begleiten und diese an bestimmten Punkten so zu verändern, dass auslösende und verstärkende Prozesse und Faktoren möglichst aller Störungen und Behinderungen (auch Krankheit und Tod) beseitigt oder in ihrer Auswirkung gering gehalten werden. Es geht darum, fördernde Lebensbedingungen zu schaffen und zu erhalten.

Qualifizierte Suchtpolitik muss sich an der Entwicklung des Problems und den bisher gemachten praktischen Erfahrungen der Fachwelt vor Ort orientieren und vorhandene Fehlinvestitionen differenziert analysieren, um sie gegebenenfalls abzubauen. So sollte eine realistische und verantwortungsvolle Suchtpolitik vorrangig die therapeutischen Maßnahmen (wobei darunter genauso abstinente wie akzeptierende Maßnahmen zu verstehen sind) verstärken und mit großer Vorsicht eine Entkriminalisierung der Konsumenten in die Rechtspraxis einführen, ohne dabei auf den präventiven Aspekt der Rechtsnormen zu verzichten. Schließlich müsste sie auch dafür sorgen, dass individuelle Freiheit und außerstaatliche Problemlösungen Vorrang vor staatlichem Eingriff haben, also auf jenen Bereich beschränkt bleibt, wo er ultima ratio ist.

Verantwortung der Gesellschaft

Es ist wichtig zu unterscheiden zwischen dem Probierer und Gelegenheitskonsumenten, der den Konsum in seinen Lebensstil und sein Lebenskonzept einpassen kann, und dem Abhängigen beziehungsweise Dauerkonsumenten, der umgekehrt seinen Lebensstil und sein Lebenskonzept immer mehr dem Konsum anpassen muss. Dadurch darf jedoch keine Bagatellisierung entstehen, erst recht nicht bei Kindern und Jugendlichen, bei denen die Gesellschaft ihre Verantwortung für deren Entwicklung viel intensiver übernehmen und etablieren muss  als bei Erwachsenen, die eigentlich bereits einen Reifungsprozess hinter sich haben müssten.

Die meisten von Sucht betroffenen Kinder und Jugendlichen stammen aus vielfach problembeladenen Familien, die sich trotz der Zugehörigkeit zu verschiedensten sozialen Schichten durch emotionale Isolation und gescheiterte Sozialisationsprozesse auszeichnen. Zunächst in den Ursprungsfamilien, dann aber auch in Folgebeziehungen, Schulen und Ausbildungen erleben sie durch traumatische negative Erfahrungen schon im Kindesalter falsche Ideale und Perspektivlosigkeit.

Auf der Suche nach Identität

Junge Menschen im Übergang zwischen Kindheit und Erwachsensein sind auf der Suche nach ihrer persönlichen Identität. Dabei ist es für den Großteil dieser Jugendlichen von größter Bedeutung, dass sie als soziale Wesen Beachtung finden und nicht übersehen werden. Um überhaupt wahrgenommen zu werden, stiften sie häufig Unheil und sorgen für negative Aufmerksamkeit.

Auf die vielschichtigen Probleme, die sie in dieser Phase zu bewältigen haben, sind die meisten Jugendlichen nur unzureichend vorbereitet. Neben der biologischen Reifung sind sie insbesondere mit den Schwierigkeiten der sozialen Integration und so umfassenden persönlichen Entscheidungen wie der Ausbildungs- und Arbeitsplatzwahl sowie ganz allgemein mit den Hürden menschlicher Interaktion und ihrer Freizeit beschäftigt.

Jeder Mensch muss eine ausreichende emotionale Sicherheit und eine ausreichend zuverlässige Versorgung in seiner Kindheit erleben, um Schritt für Schritt in einer stetigen Entwicklung seine eigene Persönlichkeit aufbauen zu können. Wird diese basale Versorgung in der Kindheit nicht geboten, wird das Kind und später der Jugendliche primär immer auf der Suche nach Sicherheit, Dazugehörigkeit und Versorgung sein, bevor er in der Lage ist, sich von alten Strukturen zu lösen und weitere Schritte in die Unabhängigkeit zu wagen. 

Der süchtige Jugendliche ist in der Regel in einer Atmosphäre der Unsicherheit und Unberechenbarkeit aufgewachsen. Er hat eine lange „Karriere“ der Versuche hinter sich, eine ausreichende Versorgung und emotionale Sicherheit oder wenigstens eine Erreichbarkeit in seiner Bezugsfamilie zu finden und wurde dabei zu oft enttäuscht.

Süchtige Kinder und Jugendliche sind überwiegend ein sprunghaftes und schwer zu erreichendes Klientel. Ihre nach außen gezeigte Widerspenstigkeit und Unnahbarkeit ist meist ein Ausdruck der verzweifelten Suche nach zuverlässigem Angenommensein bei gleichzeitiger hoher Angst vor erneuter Enttäuschung und seelischer Verletzung. Aus den genannten Gründen ist die Herstellung der Beziehungsfähigkeit und eines Beziehungsgeflechtes eine Grundvoraussetzung für das Gelingen der Behandlung, für ein drogenfreies stabilisiertes Leben.

Suchtkranke Jugendliche sind nur dann zu Veränderungen ihrer inneren Welt in der Lage, wenn sie Therapeuten als gute Objekte verinnerlichen können und sich im Prozess von Idealisierung und Entwertung an ihnen „abarbeiten“ können. Erst wenn dies ausreichend gut gelingt, ist die Basis für eine tragende Beziehung gesetzt, die vermitteln kann, dass es so etwas wie Zuverlässigkeit und Sicherheit geben kann. Erst auf der Grundlage einer solchen pädagogisch geprägten Beziehung werden eine tiefergehende Psychotherapie und eine allmähliche (Nach-)Reifung der Persönlichkeit ermöglicht.

Die Person in und mit ihrem Netzwerk

Sucht ist nicht nur eine Erkrankung der Person insgesamt, sondern der Person in und mit ihrem Netzwerk.
Es gibt keine Person ohne Umwelt, ohne Gemeinschaft in der sie lebt. Da diese jeweilige Gesellschaft in der Person abgebildet wird, ist Sucht nicht nur eine persönliche, sondern immer auch eine gesellschaftliche Krankheit.

Wenn dann aber die Angebote, die ein Nachreifen ermöglichen - denn Therapie ist nicht Reparatur, sondern ein Prozess der Entwicklung und Emanzipation - verkürzt, abgemagert, zeitlich und finanziell geschwächt werden, dann wird eben diese Nachreifung und die Zukunft der Jugend entwertet.

Nicht mehr der Mensch, sondern die Finanzierbarkeit steht im Mittelpunkt des Gesundheitssystems, wenn der Versuch, echte Ganzheitlichkeit zu leben, zunichte gemacht wird. Wider besseres Wissen werden gerade dort Einschränkungen gemacht, wohlgemerkt unter dem Motto der Zukunftssicherung, wo die Schwächsten, nämlich kranke Kinder, Hilfe erfahren sollen. Kindern und Jugendlichen, die ein Teil der Zukunft dieses Landes sind, werden die dringend benötigte Zeit und eine angemessene Unterbringung für ihre Heilung gekürzt.

Kinder sind die „Schatztruhe“ einer Gesellschaft

Kinder sind die “Schatztruhe” einer Gesellschaft. Auf ihre körperliche, psychische und soziale Entwicklung gründet die Zukunft einer Kultur. Die Erfahrungen von Kindern und Jugendlichen über mehrere Generationen im Umgang mit den Ansprüchen und Bedürfnissen entscheiden über den Grad der Sozialisation, den ihre und damit unsere menschliche Lebensgemeinschaft erreichen wird. Die Aufmerksamkeit, die unser Gemeinwesen durch die Erwachsenen ihren Kindern widmet, und die Art und Weise, wie es dem Anspruch ihrer Kinder auf Zuwendung, Versorgung, Erziehung, Reifung und Hilfe gerecht wird, ist eines der wesentlichsten Indizien dafür, ob diese Zusammenhänge bewusst sind und inwieweit es bereit ist, auch im Hinblick auf kommende Generationen verantwortlich zu handeln.

In der Unüberschaubarkeit und Schnelllebigkeit des Lebens von Kindern und Jugendlichen heute fehlt es häufig an entsprechendem Halt und entsprechender Orientierung, welche lebensnah und von Dauer sind.

Gesellschaftliche Hilfe muss also Halt und Entwicklungsraum bieten. Die Herausforderung besteht darin, differenzierte, aber nicht diffuse, gleichzeitig einfache, aber nicht pauschale Antworten zu finden, die so flexibel sind, dass sie auch morgen noch von Wert sind. Da Suchtgefährdungen Entwicklungsgefährdungen sind und umgekehrt, kann Hilfe nur auf einem nahrhaften Boden, nämlich in Form von Beziehungen erfolgen, die eine gesunde Nachreifung und Hilfe zur Selbsthilfe ermöglichen. Fehler und Krisen sind dabei Experiment- und Lernfelder beziehungsweise Wendepunkte, an denen eine Neuorientierung erfolgen kann.

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